INA HOLUB

WERTSCHÄTZUNG VS VICTIM BLAMING

Warum (fetten) Frauen einerseits abgesprochen wird zwischen Wertschätzung und Wertung differenzieren zu können, sie aber für beides ganz alleine die Verantwortung tragen müssen.     English version below.

Wir wollen Sichtbarkeit, wir haben das Problem, also müssen wir jede Form von Diskriminierung aushalten können – das scheint die allgemeine Haltung zu sein.

Sobald ich mich außerhalb meiner Wohnung und damit innerhalb einer lookistischen Gesellschaft bewege, falle ich sofort auf. Was sich 5 Minuten davor einfach noch wie meine ganz persönliche Normalität angefühlt hat, fett sein, ist nun ein von der Norm weit abdriftendes Lebensmodell dass Blicke auf sich zieht, und seltener auch mir fremde Menschen dazu bringt mich entweder an zu sprechen, oder über mich zu sprechen. Als wäre ich Part einer gut gebuchten Freakshow, bloss bin ich weder ein Freak, noch fühle ich mich jeden Tag einem Showauftritt gewachsen.

Wenn ich dann von meinen Eindrücken erzähle kommen sofort abschwächende Formulierungen daher, versucht aufbauende Sätze, und Vorschläge wie ich damit umgehen könne und dafür sorgen, dass es mir mit alledem besser geht.

Spätestens an diesem Punkt bin ich nicht bloß Part der Show, ich bin der Star, ich bin die Show.
Mir ist natürlich bewusst das all diese Relativierungen und Einwände mir in erster Linie das Gefühl geben sollen ich sei doch okay, und natürlich habe ich, wie jeder Mensch, Tage an denen mich manches stärker trifft, ich es mehr wahrnehme, es mich besonders kümmert, trotzdem ändert das nichts an meiner Kompetenz Diskriminierung als solche zu erkennen.
Genau das wird mir aber durch Einwände aller Art abgesprochen. Ich lebe schon eine Weile in meinem Körper und ich weiß daher ganz genau Blicke zu deuten. Zu denken ich würde all das was ich fühle nur missdeuten macht mich klein. Die Auffassung das von der Anzahl meiner Kilos Rückschlüsse auf meine Kompetenzen gezogen werden können ist damit auch bei jenen angekommen die eigentlich supporten wollten aber durch solche Aussagen leider Teil der strukturellen Diskriminierung sind.

An diesem Punkt möchte ich euch gerne das erschreckende, aber auch gute Projekt der Amerikanischen Fotografin Haley Morris-Cafiero zeigen. Durch einen Zufall entdeckte sie das im Hintergrund eines Bildes das von ihr gemacht wurde, ein Mann verächtlich auf sie herab schaute. Also griff sie ihre Kamera und hielt diverse Reaktionen auf sie mit Selbstauslöser in ihrer Reihe „Wait Watchers“ fest.

..und von genau diesen Blicken rede ich. Erwähne ich diese, möchte drüber reden, bekomme ich gerne folgendes zu hören:

„Ach lass die doch, ignoriere es doch einfach“

Das ist der gefährlichste Satz überhaupt. Frauen sollen also ignorieren dass ihre Körper und damit sie offensichtlich abgewertet werden und sollen nun selbst psychische Arbeit leisten, ihre eigenen Engeriereserven dafür nutzen etwas mit dem sie selbst keine Probleme haben, sondern nur die Gesellschaft in der sie leben, zu verteidigen um sich (wieder) gut zu fühlen.
Wenn Menschen für Angriffe von Aussen, an denen sie keinerlei Schuld tragen zur Verantwortung gezogen werden spricht man von victim blaming, zu deutsch auch Täter-Opfer-Umkehr. Dieser Mechanismus greift vorallem dann wenn Frauen die Opfer sind, und ganz besonders wenn sie sich nicht so verhalten wie Opfer gerne gesehen werden. Also unterwürfig, sprachlos, schüchtern.

Wenn meine eigene Reaktion auf den Angriff an meinem eigenen Körper beschwichtigt wird ist das also kein Einzelfall sondern hat System. Der Fakt dass ich überhaupt darauf reagiere, wird bereits als Eingeständnis interpretiert, womit mir jeder Handlungsspielraum genommen werden soll. Reagiere ich, bin ich diejenige die trotzig ist weil sie ja selbst weiss sie ist zu fett für die Welt. Reagiere ich nicht, bin ich diejenige die aus Unfähigkeit nicht artikulieren kann und selbst weiß sie ist zu fett für die Welt.

Ich sei also am Zug etwas zu ändern. Wenn ich nicht ausgeschlossen werden will, wenn ich nicht möchte das tausende Stereotype zu Dicken auf mich angewendet werden, dann muss ich eben aufhören dick zu dein. Scheinbar existiert eine unsichtbare Grenze, schätze mal so bei 60 Kilo, bei deren Überschreitung ich Rechte abtreten muss. Je weiter ich mich von diese Grenze entferne desto weiter entfernt sich die auf ein Schönheitsideal fest normierte Gesellschaft von mir und bekommt ihrerseits wieder Recht zugesprochen dafür zu sorgen dass ich immerzu spüre nicht gleichwertig zu sein.

Fett zu sein ist aber keine Marotte von mir die ich mir an einem langweiligen Sonntag angeeignet habe weil mir die Gewalt und Missgunst die mir als Frau mein ganzes Leben, und als offen queere Frau zusätzlich mein halbes Leben lang entgegenströhmt ist zu langweilig wurde. Fettsein ist kein Verhalten von mir, keine Art. Fett zu sein ist für mich genauso wie schwarzhaarig zu sein. Wer sich bisher nicht reinfühlen konnte wie absurd Fatshaming ist, der soll sich mal vorstellen wie das ist auf Grund der Haarfarbe angefeindet und angestarrt zu werden.

Es ist aber weder meine Schuld dass manche derart viel Hass in sich tragen, dass sie jeden sozial geduldeten Kanal dazu nutzen ihn zu entladen, noch dass es überhaupt Formen von verbaler Gewalt gegen Frauen gibt die nicht nur geduldet, sondern aktiv gefördert werden.

Ich persönlich habe mich ganz grundsätzlich für wehren entschieden, heisst aber dass ich oft gleich doppelt als Täterin gesehen werde. Ich trage Schuld für mein Aussehen dass diese Reaktionen hervorruft, und dafür dass ich mein Unbehagen jetzt auch noch mitteilen muss, und damit für unangenehme Stimmung aller Anwesenden sorge, welche sich davon tatsächlich allermeistens mehr peinlich berührt fühlen als von der zuvorgegangenen verbalen oder nonverbalen Beleidigung gegen mich. Ich werde also für etwas das ich an mir mag und mit dem ich gut kann, mehrfach sanktioniert und immer weiter aus der Mehrheitsgesellschaft hinausgedrängt, anstatt dass man sich für mich freut dass ich meinen Körper angenommen habe, und es schaffe in dieser Welt glücklich zu sein.

..Vielleicht ist aber genau dieses, schwer erkämpfte, Glücklichsein das Problem. Um Cat Pause, Feministin und wichtige Vertreterin der Fat Acceptance Bewegung zu zitieren:
„Every act of liking yourself is revolutionary“

 


 

APPRECIATION VS. VICTIM BLAMING
Why (fat) women are denied the ability to differentiate between appreciation on the one hand and degradation on the other, but still are responsible for both.

We want visibility, we are the ones with the problem, so we have to endure every kind of discrimination – this seems to be the common attitude.

As soon as I leave my apartment, entering a lookist society, I instantly stand out. What felt like my own personal normality just 5 minutes before – being fat, becomes a life concept so deviating from the norm, that it attracts looks and – more infrequently – makes people I have never met before approach me and talk to me or about me. As if I was a part of a fully booked freak show, but I am neither a freak nor am I up to a show performance every day.
When I share my impressions, diminishing phrases are the instant reaction, seemingly reassuring sentences and suggestions on how I should deal with it, how to make myself feel better with it.

At that point, I am not only part of the show, I am the star, I am the show.
Of course I know all these relativizations and objections are intended to make me feel more okay, and there are days on which I feel more hurt by some things, I am more aware of things, I particularly care, but that does not influence my capacity to identify discrimination as such.
Still, this is exactly what is denied me by all these objections. I have lived in my body for a while now and that is why I am perfectly able to interpret looks. Claiming I am only misinterpreting what I feel degrades me. In this way, the idea that the amount of my kilos allows any conclusions about my skills infiltrates the ones who actually want to support, but who unfortunately become part of structural discrimination patterns by statements like that.

At this point, I would like to tell you about the shocking but good project by US-American photographer Haley Morris-Cafiero. By accident she discovered a man disdainfully looking down on her in a picture she had taken. She took her camera and captured various reactions to herself in her selfie series called “Wait Watchers”.

… that is exactly the kind of looks I am talking about. Every time I mention these looks, when I want to talk about it, I am likely to hear the following:

“Don’t bother with them, just ignore them”

That is the most dangerous sentence of all. Women are supposed to ignore that their bodies and they themselves are so obviously devalued, and are to do physical work, are to use their own energy resources to defend something that they do not have any problems with, only the society they live in has, in order to be able to feel good (again).
Holding people responsible for external aggressions which are not their fault, is called victim blaming. This mechanism especially applies, if the victims are women, even more so if they do not act in a way expected of victims – meaning submissive, speechless, shy.
Appeasing my own reaction to the attacks on my own body is not an isolated incident but part of a system. The fact that I react at all is interpreted as a confession and takes any room for maneuver from me. Reacting makes me the defiant one, because I myself know I am too fat for the world. Not reacting makes me the inarticulate one knowing I am too fat for the world.

It is my turn to change something. If I do not want to be excluded, if I do not want to have thousands of stereotypes about fat people applied to me, I have to stop being fat. There seems to be an invisible line at about 60 kilos – by overstepping this line I have to surrender some of my rights. The more I am moving away from this line, the more society – which is firmly set on certain beauty standards – moves away from me and is awarded even more rights in order to constantly make me feel inferior.
But being fat is not a whim of mine that I got on a boring sunday because violence and resentment I encountered as a woman all my life, and additionally half of my life as being a visibly queer woman, were just too boring for me. Being fat is not some kind of behavior of mine, not an attitude. Being fat for me is just like being black-haired. The ones who have not yet been able to realize how absurd fat shaming really is, should imagine being stared at and discriminated against because of their hair color.

It is neither my fault that there is so much hate in some people, that they use every socially accepted channel to dump it, nor that there are varieties of verbal violence against women that are not only tolerated but actively promoted.
Personally, I have decided to fight back, which makes me the perpetrator in two ways. I am guilty of my appearance which provokes these reactions and I am guilty of articulating my discomfort making every one present feel uncomfortable. In most cases, people are more embarrassed by my reaction than by the preceding verbal and nonverbal insults against me. Instead of being happy for me for being able to embrace my body and be contented in this world, I am repeatedly sanctioned and pushed out of mainstream society even more for something I like about me and can deal with very well.

But maybe the problem is exactly this hard-earned happiness. To quote Cat Pause, feminist and an important representative of the Fat Acceptance Movement:
„Every act of liking yourself is revolutionary“.